China 19.11. – 25.11.2004
Dieser Aufenthalt in Chengdu ist nun auch schon wieder zur Hälfte um. Nächste Woche brauche ich unbedingt die Verlängerung meines Visums.
Meine Woche war nicht so sonderlich ereignisreich. Ich denke, der Brief wird dieses Mal kürzer ausfallen. Am Freitag habe ich mein erstes Seminar in diesem Jahr gehalten. Da bin ich ja immer noch beeindruckt. Das Seminar war auf Freitag 19:30 angesetzt, weil zu anderen Zeiten kein genügend großer Hörsaal verfügbar ist. Und der Hörsaal war wirklich praktisch voll. Man hat mich ja zu einem sehr eigenartigen Thema gebeten, die Forschungssituation in Deutschland und den Stand der Biomaterial-Forschung. Ich habe die verschiedenen Fördermöglichkeiten, auch für Gastwissenschaftler aufgezählt. Zum Stand der Biomaterial-Forschung habe ich von MatMed und von einer Zeitschrift statistische Daten. So lief das recht gut, und es gab auch eine Reihe interessierter Fragen, manche denken wohl schon daran, einmal in Deutschland zu studieren oder promovieren. Allerdings hat sich noch niemand den Vortrag kopiert, wo ich ja doch auch eine Menge Kontakt-Adressen aufgeschrieben habe.
Ich habe ja gedacht, diese Woche muß ich auch wieder ein Seminar halten, habe es auch vorbereitet. Huang Nan ist aber auf einer Konferenz in Peking, so gibt’s niemanden, der übersetzen würde, und dann gibt’s auch kein Seminar. Aber es wird ja nicht schlecht, was ich vorbereitet habe.
Huang Nan hat diese Woche für meinen langen Aufenthalt im nächsten Jahr alle Unterlagen klar gemacht. Ich werde sogar ein doppeltes Gehalt bekommen, von der Personalabteilung und von der Abteilung für Auslandsbeziehungen als exzellenter ausländischer Wissenschaftler. Außerdem bekomme ich (wahrscheinlich) einen Hin- und Rückflug erstattet, bin ich hier kostenlos krankenversichert und kann eine billige Wohnung auf dem Uni-Campus nehmen. Die Dauer ist ein Jahr, soll mindestens fünf Monate betragen; ich verpflichte mich also nicht für die ganze Zeit. Alles ist jetzt bei der Uni-Verwaltung und wartet auf die höchste Unterschrift. – Das Gehalt ist schon atemberaubend niedrig, und ich bin froh, dass ich das Projekt mit den Amerikanern habe. Wie ich das Geld dann einmal von China auf mein Konto transferiere, weiß ich auch noch nicht.
Letztes Wochenende musste Huang Nan offensichtlich viel vorbereiten, da gab es so keinen Ausflug. Ich habe den Bus genommen, mit dem wir die Woche vorher zum Kunstmarkt gefahren sind. An der Haltestelle gab es auf der anderen Seite einen großen Tempel und Park-Anlage, den QingYang Gong Temple, den ich mir anschauen wollte. Ich dachte, das ist einer von den beiden, die ich schon kenne, wollte ihn trotzdem noch einmal ansehen. Ich habe ihn aber noch nicht gekannt. Der Tempel an sich war schön, dann war noch eine große Parkanlage dabei, Maler haben ihre Werke ausgestellt und man hat Karussell fahren können. Ich war recht lange in dem Bereich, habe aber weiter nichts gekauft oder sonst wie Geld ausgegeben.
Danach habe ich mir gedacht, ich fahre mit dem Bus einfach noch weiter , dann werde ich schon ins eigentliche Zentrum kommen. Der Bus ist voller und sehr voll geworden, dann auch leerer und sehr leer. Das Zentrum, das ich kenne habe ich nicht gesehen. Am Rückweg bin ich irgendwo ausgestiegen, wo es am meisten nach Zentrum aussah und bin da etwas herumgelaufen und habe auch etwas gegessen. Irgendwie war es aber nur ein kleines Zentrum von einem Siedlungsbereich. – Dank GPS habe ich meine Bushaltestelle mühelos wieder gefunden und kam so auch gut wieder heim.
Am Abend hatte Huang Nan dann anscheinend doch etwas ein schlechtes Gewissen, dass er mich so allein herumsitzen lässt. Er hat am Abend gefragt, ob ich nicht Chengdu bei Nacht sehen will. Die Stadt ist da sehr bunt beleuchtet. Da hatte ich schon Lust. Seit diesem Jahr haben sie ein Auto, seine Frau fährt. Da sind wir ins wirkliche Zentrum gefahren. Die Stadt ist schon wirklich sehr beleuchtet und bunt. Das lieben die Asiaten wohl so. Wunderschön sieht es aus, wenn sich die Lichter im Wasser spiegeln. Chengdu muß da für sein Erscheinen schon einiges investiert haben. – Die ganze Fahrt war ja schon mehr eine Verlegenheitslösung vom Institutsdirektor (danach hat er auch gleich weitergearbeitet). Mir hat sie aber sehr viel genützt. Nicht nur, weil’s schön war; ich habe mein GPS Gerät dabei gehabt, habe die Strecke so aufgezeichnet und mir die wichtigsten Punkte noch markiert. So finde ich mich da das nächste Mal auch allein zurecht. Dieses Wochenende will ich eigentlich in die Stadt, muß noch fragen, welcher Bus mich ins Zentrum bringt.
Am Sonntag habe ich gearbeitet, muß noch einiges schreiben. Sehr effektiv war ich aber nicht. Essen gegangen bin ich auch, es bisschen besser. Den Kellnern ist ganz offensichtlich das Herz in die Hose gefallen, wie jemand kam, mit dem sie englisch reden müssen. Empfohlen hat man mir dann auf Chinesisch, ich war mit allem zufrieden. Dann, wie es nicht mehr darauf ankam, haben sie ihr Englisch vorgebracht. Gut war’s und hat auch nur etwa drei Euros gekostet.
Mit meinem Puppen-Teegeschirr bin ich nicht recht glücklich geworden. Hier in China läuft praktisch jeder ständig entweder mit einem Halberstädter-Würstchenglas oder mit einer Mini-Thermoskanne mit Tee herum. Eine derartige Thermoskanne habe ich mir nun auch gekauft. Sie hält schon wirklich sehr gut warm. Innen ist noch ein Seier hineingeklemmt, damit man nicht ständig die ganzen Flinserl im Mund hat. Da kann ich mir eine einigermaßen normale Portion Tee machen, und daheim kann ich darin meinen Glühwein machen. – Ich muß aber sagen, ein richtiger, kultivierter schwarzer Tee geht mir schon ab. Hier trinkt man tagein, tagaus den gleichen grüner Jasmintee, und zwar wirklich den gleichen, auf den nur immer neues Wasser gegossen wird. Damit kann man schon auch so viel extrahieren, dass man zum Taumeln kommt. Wirklichen Genuß habe ich aber eher mit meiner Teesammlung zu Hause.
Letzte Woche Freitag habe ich auch meine erste Zellkultur hier angesetzt. Ich wollte Rattenknochenmarks -Zellen isolieren. Das habe ich in Rossendorf öfter gemacht, es geht einfach, funktioniert praktisch immer und kostet fast nichts, falls hier doch irgendetwas nicht klappt. Man braucht nur Rattenknochen, oder tote Ratten. In Rossendorf war das einfach, ein anderes Institut hat mehrmals in der Woche Ratten getötet und sogar gleich die Oberschenkelknochen herausgeschnitten. Die konnte ich dann haben. Hier habe ich ja auf irgendwelche erschlagenen wilden Ratten gehofft. Sie haben aber Wistar Ratten gekauft, drei Stück à 1.50 €. Ich hatte ja ein Narkosemittel gewünscht, damit man sie in Narkose tötet, das hätte ich dann auch gekonnt. Das wollten die Kollegen hier aber anscheinend sparen. Sie haben riesiger Lederhandschuhe angezogen und gesagt, ich soll mal kurz weggehen. Das habe ich auch getan. Wie ich nach einer Viertelstunde kam haben sie die erste Ratte immer noch nicht geschafft gehabt. Ich weiß nicht, was das arme Tier alles mitgemacht hat. Ich habe ihr mit einem Besenstiel schnell einen gewaltigen Schlag auf den Hinterkopf gegeben und mit einer kräftigen Schere das Genick durchgeschnitten. Das war dann recht flott. Dann musste ich die Oberschenkelknochen ausbauen, das habe ich vorher auch noch nicht gemacht. Eingedenk der ganzen blutigen Prozedur habe ich auch noch Unterschenkel und Oberarme genommen und gesagt, die anderen beiden Ratten lassen wir leben.
Dann die Zellkultur: schon zwei Tage vorher hatten wir ein Flüssigmedium bekommen; das Medium, was ich will gab es so schnell nicht als Pulver zum selbst ansetzen. Wir hatten das Flüssigmedium im Kühlschrank, und wie ich es benutzen wollte habe ich mich schon gewundert, dass es etwas trüb aussieht, es war auch schwach verfärbt. Ich habe eine Probe genommen und mikroskopiert. Wie vermutet war es dick kontaminiert. Die Kollegen haben bei der Firma angerufen, ich habe mit den Leuten auch gesprochen und sie gewaltig zusammengestaucht. So etwas darf einfach nicht passieren. Wenn man sich vorstellt, ich hätte das Medium zu einer „richtigen“ Zellkultur, vielleicht noch zu einer Langzeitkultur auf Proben gegeben, das wäre ein gewaltiger Schaden gewesen, der mit einer neuen Flasche Medium nicht zu ersetzen ist. Verlangt habe ich ja eigentlich das Prüfprotokoll von der kontaminierten Charge und erst recht vom neuen Medium. Das neue Medium kam aber irgendwie hinter meinem Rücken ohne diesen Protokollen.
Für den Versuch mit den Rattenknochen habe ich dann ein anderes Pulvermedium ansetzen müssen. Die Kollegen haben immer gemeint, das geht unmöglich noch vor dem Seminar, man muß den Versuch verschieben. Ich habe aber alles gut geschafft. Die Zellen wachsen inzwischen auch schön. Am Wochenende haben wir die anderen beiden Ratten gefüttert, ich habe gesagt, sie brauchen auch zu trinken. Am Montag wollten sie sie dem Händler zurückgeben, der hat sie aber nicht mehr genommen. So haben sie sie noch weiter gefüttert. Am Dienstag haben die Kollegen gefragt, was wir tun sollen, ob ich sie nicht vielleicht doch für einen Versuch brauche, sie stinken fürchterlich. Ich habe meine Zellen angeschaut, gesagt, die sehen gut aus, jetzt noch neue Zellen dazu geben geht nicht und eine zusätzliche Charge macht nur Arbeit, kostet Geld und bringt nichts. Sie sollten die Ratten doch einfach am Teich aussetzen. Damit waren sie gar nicht einverstanden. Sie wollten Narkosemittel besorgen und sie töten. Ich war trotzdem für’s Aussetzen. Sie haben gemeint, sie vermehren sich, und plötzlich gibt es hunderte und tausende Ratten (ich habe gar nicht geschaut, ob es Männlein und Weiblein waren). Ich habe aber gemeint, an jedem Teich gibt es Ratten, da fallen die zwei mehr nicht auf. Außerdem gehen diese verwöhnten Laborratten sowieso schnell unter. Anscheinend habe ich meine Kollegen damit überzeugt, das mit „am Teich aussetzen“ haben sie aber falsch verstanden. Sie sind zur Brücke, die über den Teich führt gegangen und haben sie da heruntergeworfen, die Ratten sind weggeschwommen, und die Kollegen sind schnell weggelaufen. Ich musste lachen, wie sie mir das erzählt haben.
Die Ukraine hat gewählt. Mein Ukrainer hatte mir ja einiges von den Hintergründen erzählt (er ist mit dem aktuellen System überhaupt nicht einverstanden), so habe ich das schon etwas aufmerksamer verfolgt. Der Wahlbetrug dort ist schon eine bodenlose Frechheit. Spannend ist es, ob es da in irgendeiner Weise eine Revolution und demokratische Wende gibt. – In China erfährt man davon ja praktisch nichts. Die einzige englischsprachige Nachrichtenseite, die ich kenne (zugleich vom wichtigsten Fernsehsender, sonst würde ich sie nicht kennen) schreibt, dass es die Wahl gab, der Premierminister gewonnen hat und Putin hat gratuliert. Anhänger der Opposition machen Proteste, es gibt den Streik-Aufruf. Yanukovich bezeichnet sie als Unruhestifter. – Die Nachricht wurde nicht aktualisiert, die Haltung der EU oder Amerikas wird nicht genannt. Anscheinend hat man hier schon Angst, dass es ähnlich läuft und versucht die Bevölkerung dumm zu halten.
Posted on: 25. November 2004Manfred Maitz